Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig

von Werner

„Bekennen Sie sich schuldig, Josef Stadler, Ihren Vater getötet zu haben?“

„Ich bekenne mich schuldig, aber nur, dass ich ihn geschlagen habe.“

Der Angeklagte, ein junger Bursch, nett, hübsch, ist der Sohn eines Wirtschaftsbesitzers aus Zurndorf im Burgenland. Im Verlaufe einer Auseinandersetzung mit seinem betrunkenen Vater hat er ihn in der Wut niedergeschlagen. Der alte Matthias Stadler erlitt einen Schädelbruch, was aber von dem behandelnden Arzte nicht bemerkt wurde, und starb am zehnten Tage nach dem Vorfall an Gehirnhautentzündung. Der Gemeinderat von Zurndorf stellte dem Toten ein außerordentlich würdiges Leumundszeugnis aus, wobei man aber hinzufügen muss, dass der alte Stadler Matthias selbst eine Zeitlang Gemeinderat war, denn sonst würde man nicht verstehen, dass sich unter den zahlreichen Zeugen, die im Laufe der Verhandlung vernommen werden, auch nicht ein einziger befindet, der an ihm ein gutes Haar lässt.  

Da ist seine alte Frau, die alte Katharina Stadler. Ein kleines verrunzeltes Weiblein, in einem langen, faltenreichen schwarzen Rock, einer altväterlichen, kurzen schwarzen Jacke und einem schwarzen Seidentuch über den Kopf.

„Von allem Anfang an ist es mit ihm nicht auszuhalten gewesen. Allweil ist er ins Schnapshaus gegangen. Ich habe den Wirten gesagt, sie sollen ihm kein Geld borgen und nichts verkaufen, denn er hat immer Schulden gehabt. Aber sie haben es doch getan. Seine Arbeit war das wenigste. Allweil ist er im Schnapshaus gesessen, gearbeitet hat er nur, wann er nicht dort war, aber er war fast immer dort. Wann ich den Mund aufgetan habe, hat er mich angeschrien: “Ich bin der Herr im Haus ruhig sein“ und hat mit allem, was ihm bei der Hand war, nach mir geschmissen. Mit Messer, mit Mistgabel, mit Häfen, einmal mit einer brennenden Petroleumlampe. Das Mädel hat er mit einem Topf siedenden Wasser angeschüttet. Oft bin ich davongelaufen, durch Monate habe ich nicht im Haus geschlafen, Er braucht mich nicht, hat er gesagt, er erschlägt uns alle.“

„Ja Frau Stadler, haben Sie denn keine Anzeige gemacht oder sonst etwas, wenn er so schlimm war?“

„Ja, einmal bin ich zur Gendarmerie gegangen und habe eine Anzeige machen wollen. Aber da hat man mir gesagt: Machen Sie lieber keine Anzeige, denn sonst wird es Ihnen noch schlimmer gehen. Und dann habe ich auf Scheidung geklagt.“

„Ja aber wie ich aus den Akten sehe, ist die Sache eingestellt worden und sie haben sie nicht wieder neu aufgenommen. Warum denn nicht?“

„Wenn man fünfunddreißig Jahre verheiratet ist und dann wegen der Kinder.“

„Also was war’s mit den Kindern?“

„Na allweil dieselben Sachen. Alle hat er geschimpft und allweil hat er sie erschlagen wollen. Wenn sie nicht immer davongelaufen wären oder sich sichergestellt hätten, war schon längst ein Unglück geschehen.“

„Aber wenn er, wie Sie sagen, nichts Rechtes gearbeitet hat, so muss doch Ihr Besitz arg heruntergewirtschaftet sein?“

„Wie haben nie Erspartes gehabt, immer Schulden. Allweil hat er die Frucht verkauft. Oft schon am Halm, so dass ich mir habe oft im Winter etwas ausbitten müssen. 5000 bis 6000 ungarische Kronen hat er an einem Tag versoffen. Hat 20 bis 30 Liter Wein verspielt. Einmal hat er zwei Ochsen verkauft und in zwei Tagen war das Geld weg. Die Kinder sind immer brav gewesen, haben sich geplagt, sonst hätten wir überhaupt nichts mehr. Aber er hat sie nicht gemocht.“

Wenn der Vorsitzende OLGR. Doktor Haerdtl nicht Einhalt geboten hätte, sie hätte in dieser Art noch lange fortgeredet. Aber wer von den Zeugen auch aufgerufen wurde, die Töchter, die Söhne, sie alle sagten dasselbe.

Da ist der Mann der einen Tochter, Karl Heinowiz. Er hat vieles miterlebt. „Gleich stich ich dich ab!“ hat er der Mutter einmal zugeschrien und ist mit dem scharfgeschliffenen Brotmesser auf sie losgegangen. Wann ich es ihm nicht aus der Hand reiß. …

Und dem Mädel hat er mit der Sense auf den Kopf geschlagen. Mit mir ist er nicht so gewesen, aber wie ich ihm gesagt habe, er soll nicht so wild zur Mutter sein, hat er gesagt: „Ich erschlag mein Weib, und wann ich stirb, die ganze Welt soll mich am A……lecken.“ Ein gefährlicher Mensch war er.  

Die Tochter sagt: “Ich habe ihm was gesagt und hinzugefügt: „Da lasse ich mir den Kopf dafür abschlagen!“ „Ich schlag ihn dir auch ab!“ hat er geschrien und die Hacke ergriffen und mich bis auf die Straße verfolgt.“

Die Lehrersfrau erzählt: „Ich bin einmal dazugekommen, wie die Kinder in der Pause am Fenster gestanden sind und hinübergeschaut haben in den Hof vom Stadler. „Jetzt nimmt er die Mistgabel, jetzt hat er die Hacke, jetzt ein Messer“ haben sie gerufen. Ich bin ans Fenster getreten und habe gesehen, wie der alte Stadler Matthias auf seine Leute losgegangen ist.“

„Wenn man, wie ich als Richter im Burgenland, Gelegenheit gehabt hat, die Verhältnisse kennen zu lernen“, fügt hier der Vorsitzende ein „wundert man sich nicht über das was hier erzählt wird. Was dort die Eltern mit den Kindern und die Kinder mit den Eltern treiben, ist einfach entsetzlich. Aber der alte Stadler Matthias scheint ja ein besonders fürchterlicher Mensch gewesen zu sein!“

Niemand im Schwurgerichtssaal kann sich dem furchtbaren Eindruck entziehen. Nicht mehr der Sohn, der die Tat begangen hat, ist der Angeklagte, wie ein Gespenst steht vor allen Augen die Gestalt der wirklich Schuldigen, dieses alten, unmenschlichen Säufers und Wüterichs. Auch der unmittelbare Anlass zur Tat ist nur aus diesem ganzen Drama einer vielköpfigen Familie zu begreifen. Der Alte hat einen Sack Weizen abwägen lassen wollen. Der Sohn, dem er den Auftrag gab, hat alles hergerichtet und als der Vater gar nicht kam, damit begonnen. Kaum stand aber der Sack auf der Waage, als der Betrunkene in die Küche kam. „Ich bin der Herr“, schrie er und packte den Sack und schmiss ihn herunter. Josef erwiderte nichts, sondern stellte ihn wieder hin. Und wieder warf ihn der Alte herunter. Da nahm Josef die Waage und trug sie in den Hof hinaus. Der Alte ihm nach. Und als der Bursch auch dort keine Ruhe vor ihm fand, und der Vater gar mit einem Zweikilogewicht auf ihn losging, stieß er ihn zurück, so dass er taumelte. Aber er erhob sich und wiederholte seinen Angriff. Diesmal stieß Josef so stark, dass der Vater hinfiel und mit dem Hinterkopf am Brunnenrand aufschlug. Aber noch einmal richtet er sich auf und da packte den Sohn Wut und Angst und er ergriff einen Rüben Scherer und schlug mit ihm los. Den kaum Bewusstlosen trugen sie dann in die Küche und brachten ihn zu Bett. Aber als sie ihn ausziehen wollten, stieß er noch mit den Fußen nach seiner Frau.

Das Urteil der Geschworenen war zu erwarten. Mit elf Stimmen verneinten sie die Schuldfrage. Josef Stadler konnte keine Strafe treffen.   

Quelle: Ein Zeitungsbericht aus der Zeitung „der Tag“ vom 21.Dezember 1922 Seite 5