Viel Schnee - kein Untericht

von Werner

1946 ging ich sechs Monate nach Bruck/Leitha in die Bauernschule. Die eigentliche Bundeslehranstalt war von Russen besetzt, daher hatten wir in der alten Siedlung im Lehrlingserholungsheim einen großen Raum zur Verfügung, darinnen standen lange Tische wie man sie früher bei Kirtagen in der Tanzhütte hatte.

Einen Sessel musste ein jeder von zu Hause mitbringen. Und als es im November kälter wurde, auch ein paar Holzscheiter zum Heizen, ein Ofen war vorhanden. Der Raum war sehr groß und daher schwer zu heizen. Am ersten Tag sagte der Herr Direktor wir gehen jetzt zum gemeinsamen Eröffnungsgottesdienst, ist vielleicht jemand hier der evangelisch ist. Ich zeigte auf worauf der Direktor sagte: „Sie sind also evangelisch". lch schaute mich um und sah, dass ich der einzige war. „Wenn Sie wollen können Sie mitgehen oder auch nicht.“ sagte er. Ich ging natürlich mit. Beim Religionsunterricht war es das Gleiche, allerdings nicht immer, denn beim Unterricht, der immer am Montag war, fragte mich der Pfarrer immer welches Evangelium unser Pfarrer gestern in der Kirche verlesen hatte und mich dadurch zum sonntäglichen Kirchgang drängte.

Am ersten Tag fragte der Direktor wer Raucher ist, was er sich notierte. Ich dachte ich melde mich nicht, denn die paar gestopften Zigaretten, die ich von zu Hause mit hatte, ich hatte ja noch keine Raucherkarte, die zählen ja nicht. Als wir uns eines Tages in der Pause im Flur um den Chef im Halbkreis scharten, denn er erzählte immer sehr interessante Geschichten und die Zigaretten anzündeten ging dieser plötzlich in die Klasse um nachzusehen, wer als Raucher gemeldet ist. Als er zurückkam stellte er sich vor mir hin und gab mir eine Ohrfeige mit voller Kraft. „Wissen sie warum sie diese bekommen haben?“ fragte er. Worauf ich verneinte. „Bei mir kann jeder rauchen, aber anfangen tut bei mir keiner, denn dann sagen die Leute in dieser Schule lernen die Buben alle Schlechtigkeiten, unserer hat auch dort zu rauchen begonnen. Und du Nigl wirst auch bei mir nicht anfangen.“

Der Unterricht dauerte bis ein Uhr, aber wir Burgenländer hatten laut Fahrplan erst um halb sieben unseren Zug. In Wirklichkeit kam er oft erst vor Mitternacht, denn die Russen bestimmten wann für den Personenzug auf dem einspurigen Geleise ein Raum ist. So waren wir gezwungen die Hausaufgaben in der schon vor Unterrichtsschluss nicht mehr geheizten Klasse zu machen.

Als der Winter näher kam hielten wir es in der ungeheizten Klasse nicht mehr aus und so landeten wir im deutschen Kaffeehaus zum Aufgabemachen. Dort wurden wir geduldet, auch wenn wir keine Zeche machten.

Da war ein junges Mädchen mit einem Stoß Kaffeeschalen zum einräumen. Mit uns war der Abraham Peppi aus Petronell, ein Witzbold. Der brachte das Mädchen so zum Lachen, dass diese die ganzen Schalen fallen ließ. Wir hatten kaum Zeit unsere Hefte einzuräumen, bevor wir rausflogen. Kaum waren wir draußen, kam auch das Mädchen weinend heraus.

Unser Zug ging in der Früh laut Fahrplan um Fünf Uhr. Trotzdem kamen wir nicht selten zum Unterricht zu spät. Natürlich kam es vor, dass einer von uns beim Unterricht einschlief. Der Direktor sagte, das geht so nicht weiter, sucht euch ein Quartier wo ihr die Woche über bleiben könnt. Ich fand in der alten Siedlung eine Bleibe, als Entgelt wurde mit meinen Eltern vereinbart, die Lebensmittelkarte, ein Laib Brot pro Woche, wir haben damals noch eigenes Brot beim Bäcker gebacken, da hatte ein Laib ca. 3 kg, eine Flasche Wein, den hatte die Zimmerfrau meistens vertauscht für irgendetwas und zehn Schilling. Wein hatte in der Besatzungszeit hohen Wert, wenn man mit Russen Kontakt hatte.

An einem Morgen war Schneeverwehung, daher waren nur wir, die wir in Bruck einquartiert waren und die Brucker selbst zum Unterricht erschienen. Der Herr Direktor sagte: „Es hat keinen Sinn, wenn ich mit euch ohne die Auswärtigen Unterricht halte, und es wird auch eine Weile dauern bis die Straßen zu den umliegenden Gemeinden frei werden, so dass die Schüler aus diesen Gemeinden zum Unterricht kommen können. Darum ist es am Besten ihr schaut euch um eine Möglichkeit, wie ihr nach Hause kommt.“ Daraufhin sind wir zum Bahnhof gegangen, wo uns gesagt wurde, dass überhaupt keine Aussicht besteht, dass in den nächsten Tagen ein Zug fährt. So haben wir vier Burgenländer zwei Nickelsdorfer Finster Paul, Finster Matthias, der Groß Paul aus Deutsch-Jahrndorf und ich uns auf dem Wege gemacht und sind nach der Straße bis Parndorf in kniehohen Schnee gewatet. Es war sehr windig und der Schnee war anfangs sehr patzig, so dass er nicht sehr gelaufen ist, doch je weiter wir uns von Bruck entfernten, desto ärger wurde das Schneegestöber. Ab Parndorf gingen wir nach der Bahn, dass war das ärgste, dass man sich vorstellen kann. Es war ja damals noch ein Gleis die ganze Strecke mit Waggons vom Kriegsgeschehen voll gestopft, die waren total zugeweht, dass man sie stückweise gar nicht gesehen hatte. So sind wir auf den Waggondächern gegangen, ohne dass wir es merkten, nur manchmal ist einer von uns zwischen zwei Waggons in den Spalt gefallen.

Auf den Feldern ist ja weniger Schnee gelegen, aber da konnten wir nicht gehen, weil wir bei dem argen Schneetreiben die Richtung verfehlten. Auf der Siebenjoch war damals noch Bahnstation und die Kanzlei war von einem Eisenbahner besetzt. Der hat uns nicht reingelassen, für eine kurze Rast, weil er uns nicht kannte. Zu dieser Zeit hat sich ja allerhand Gesindel herumgetrieben.

Es war in der Abenddämmerung als wir bei dem Bahnübergang Trifft ankamen. Wir hatten schon vorher beschlossen, dass wir bei uns übernachten und die Auswärtigen am nächsten Tag irgendwie nach Hause kommen werden. Da sagte plötzlich der Finster Matthias ich gehe weiter nach Hause. Wir dachten zuerst er macht einen Scherz, doch er ließ es sich nicht ausreden und ging tatsächlich weiter. Er hatte sich dann im Schneesturm verirrt und ist dann um Mitternacht nach Hause gekommen. Seine Eltern machten uns nachher den Vorwurf, dass wir ihn nicht zurückgehalten haben und ihn womöglich ins Verderben gehen ließen.

Das Schneegestöber hielt mehrere Tage an. Dann musste von jedem Haus ein Mann den ganzen Tag auf der Bahn in mehreren Trupps die Bahn freischaufeln, bis eine Lok mit dem Schneepflug durcharbeiten konnte. Einige Tage nachher kam ein Brief von der Schule, dass der Unterricht wieder fortgesetzt wird, man hatte ja damals noch kein Telefon.

Quelle: Michael Pschaiden