Matthias Schmitzhofer - Meine Schicksalsjahre 1944 - 1953 / Teil 1

von Werner

Als 19-jähriger Bursche wurde ich Anfang August 1944 wurde ich zur Waffen-SS gemustert (damals war es Zwang) und am 17. September zur „Kavallerie Division“ eingezogen. Ich musste meinen Heimatort Hegyeshalom verlassen, egal ob ich wollte oder nicht.

Vor Budapest, in Pomas bekamen wir unsere Ausbildung, die zu dieser Zeit sehr hart war. Die Ausbilder schrien oft: „Das Menschenfleisch muss weich gemacht werden, damit es Lust hat zu sterben!“ Am 15. Oktober hatte Ungarn kapituliert und wir mussten Budapest besetzen. Die Russen kamen schnell voran. Am 1. November mussten wir zur Front und wurden in Dokschon eingesetzt. Am 2. Dezember durchbrachen die Russen die Front, es ging alles drunter und drüber. Ich lief mit einem Haufen ungarischer Soldaten mit, bis wir am Kellenfelder Bahnhof ankamen. Wir sprangen einer nach dem anderen auf einen heranrollenden Güterzug auf. Zu meinem Glück und Zufall fuhr dieser bis Hegyeshalom durch. Endlich war ich zu Hause. Allerdings hatte ich keinen Urlaubsschein, deshalb musste ich mich verstecken. Am 6. Dezember, ich hatte gerade unerlaubter Weise ein Schwein geschlachtet, folgte um 11.00 Uhr ein Fliegerangriff. Der Güterbahnhof wurde ganz zerstört. Neben dem Friedhof ging eine Bombe nieder und traf das „Halaszhaus“. Die Frau und ihre beiden Kinder, die in dem Haus wohnten, waren auf der Stelle tot.

Es war ein erschütternder Anblick und ein furchtbares Durcheinander. Wir hatten am Wirtschaftsgebäude Bombenschäden und auch die Haustiere waren sehr verängstigt. Ich versteckte mich so lange, bis es etwas ruhiger wurde. Danach hielt ich Ausschau nach meiner Mutter, die sich mit meinen Geschwistern versteckt hatte. Ich fand Sie bei Nachbarn im Keller. Als mich meine kleine Schwester sah, rief sie:“ Matz, ich habe niemanden erzählt, dass du zu Hause bist“! So schnell als möglich musste ich wieder fort, denn es wurde zu gefährlich für mich. Ich hatte Glück und konnte mit einem Rucksack, voll mit Lebensmittel entkommen und nach Budapest zu meiner Tante fahren. Dort angekommen, übergab ich ihr die Lebensmittel und ging anschließend zu meiner Einheit zurück. Da ich doch einige Tage von meiner Truppe weg war, musste ich mir eine Ausrede für mein Fernbleiben einfallen lassen, welche mir Gott sei Dank geglaubt wurde. Ich konnte von der Front noch dreimal meine Tante besuchen. Wir waren in Soroksar im Einsatz und hatten schwere Abwehrkämpfe. Es war sehr hart. Am 19. Dezember bestand die Möglichkeit wieder nach Hause zu kommen. Ich freute mich, Weihnachten zu Hause zu sein und nützte die Gelegenheit. Am 23. Dezember kam auch mein Vater nach Hause. Er konnte abrüsten, weil er einen Herzfehler hatte. Als er mich sah, fragte er mich, ob ich Urlaub hätte. Da ich verneinte, war er sehr erschrocken und befahl mir so schnell wie möglich zu meiner Einheit zurück zu kehren. „Wenn sie dich erwischen, wirst du erschossen wie ein Hase und wir sind auch dran!“, rief er und war sehr zornig. Er meinte, er hätte schon viel gesehen und sagte nichts mehr. So musste ich am 24. Dezember schweren Herzens mein Elternhaus verlassen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es ein Abschied für eine sehr lange Zeit werden sollte. Um 11:00 Uhr fuhr ich mit dem Zug von Hegyeshalom ab und kam um 17:00 Uhr in Budapest an. Dort ging ich sofort zur Frontleitstelle und suchte meine Einheit. Es war schon überall Weihnachtsstimmung. Plötzlich sprach sich herum, dass die Russen bei Bieadorpagy „den Kessel“ zugemacht haben. Es herrschte wieder große Aufregung und Gott sei Dank fand ich meine Einheit. Meine Kameraden freuten sich, dass ich noch lebte. Sie hatten mich schon als vermisst gemeldet. Es war die Hölle los. „Der Kesselring“ wurde immer kleiner.

Die Zivilbevölkerung hatte auch sehr gelitten. Es gab kaum Wasser und Nahrung. Es kam auch vor, dass wir uns im ersten Stock eines Hauses befanden und die Russen im Keller. Frauen wurden vergewaltigt und gedemütigt. Man hörte Sie von irgendwo schreien und konnte ihnen nicht helfen, es war furchtbar. Unsere Verpflegung war sehr schlecht. 15 Männer mussten sich ein Brot teilen und zu Mitternacht bekamen wir ein wenig warme Suppe. In Budapest in der Burg hatte noch ein Bäcker für Frauen und Kinder Brot gebacken. Die Russen hatten auf alles geschossen, was sich bewegte.

In der Nacht vom 11. zum 12. Februar 1945 hatte Budapest kapituliert. Drei Stoßtrupps versuchten aus dem „Kesselring“ auszubrechen. Nur eine Truppe hatte Glück und konnte entkommen. Bei dieser Gruppe, welche aus 600 bis 700 Personen bestand, war ich dabei. Ich kann es heute kaum fassen, dass ich so viel Glück hatte. Wir waren heilfroh die Hölle von Budapest überlebt zu haben. Mit den ca. 700 Kameraden ging es weiter nach Estergom. Alle wurden wir entlaust und bekamen frische Wäsche und drei Tage Ruhe. Dann wurde eine Kampftruppe zusammengestellt und wir machten uns auf den Weg nach Szekesvehervar. In drei Tagen waren wir aufgerieben. Der Feind, die Russen waren in großer Übermacht. Dann kamen wir in die Tschechoslowakei. Dort wurde aus Rekruten, aus den Überlebenden der 8., 18. und 22. Kavalleriedivisionen die 37. Division aufgestellt. Es waren auch Männer vom Jahrgang 1928 dabei. Nach der Ausbildung in Pressburg musste am 1. April 1945 das Deutsche Militär die Stadt verlassen. Pressburg wurde zur freien Stadt erklärt. Ich stand an diesem Tag mit meinem Pferd bei der Pressburger Donaubrücke und wollte nach Hause. Es gelang mir nicht. Wir wurden in Wien eingesetzt.

Am 13. April wurde ich leicht verwundet, aber es ging weiter. Um 18:00 Uhr sind wir über die Floridsdorfer Brücke gelaufen, welche hinter uns gesprengt wurde. Von dort ging es nach Peneschau bei Prag und Flastitz wo wir wieder „aufgefrischt“ wurden. Am 4. Mai waren wir über Tabor Richtung Linz unterwegs, wo wir am 7. Mai ankamen. Dort trafen wir auf lange Flüchtlingskolonnen. Aus meiner Heimatgemeinde Hegyeshalom waren einige mit den Pferdewagen dabei. Die Frauen riefen: Bleibt hier, der Krieg ist bald aus!“ Ich war mit Nitschinger Geza, meinem Schulfreund in einer Schwadron, wo ich Melder war. Unser Kompaniechef befahl uns die Einheit auf keinen Fall zu verlassen, da hier „Standrecht“ sei. Es ging weiter bis nach Freistadt, dort machten wir Rast und erfuhren, dass der Krieg zu Ende ist. Ich erinnere mich noch ganz genau, es war der 9. Mai 1945, ein Tag voller Erleichterung und Hoffnung bald nach Hause zu kommen. Aber es kam ganz anders. Um 9:00 Uhr sah ich zum letzten Mal auf meine Uhr, danach wurde sie mir von einem Afroamerikaner weggenommen, und ich konnte nichts dagegen tun. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, jetzt sind wir wehrlos, ehrlos und machtlos, und auf eine Lüge folgte die Nächste. Nachdem uns versprochen wurde, dass wir nach Hause dürften, habe ich mich mit sechs Landsleuten abgesprochen und wir organisierten einen Wagen und Pferde für die Heimfahrt. Doch leider kam es ganz anders. Die Amerikaner übergaben uns den Russen, welche uns bis kurz vor Horn fahren ließen und uns dann mitteilten, dass eine ansteckende Krankheit ausgebrochen wäre. Uns wurde gesagt, dass wir alle entlaust werden und dann unsere Entlassungsscheine bekommen würden, um nach Hause fahren zu können. Wieder waren es nur Lügen. Wir kamen in ein Lager, wo sich schon 40 000 Männer befanden. Das Essen war sehr schlecht. Hunger und Schwäche wurden unsere Begleiter. Ein Großteil der Männer hatte kein Dach über dem Kopf und verbrachten die Nächte unter freiem Himmel. Ich hatte eine Pferdeniere gestohlen und diese auf der Latrine roh gegessen. Darauf bekam ich starken Durchfall und mir ging es ziemlich schlecht. Als ich mich etwas erholt hatte, lernte ich Herrn Michael Kaipl aus Zurndorf kennen. Er war älter und erfahrener als ich. Herr Kaipl hatte gehört, dass Männer, die starken Durchfall hatten, nach Hause dürften und die gesunden nach Russland müssen. Er wollte mir ein Stück Seife zu essen geben, damit ich wieder Durchfall bekommen sollte. Hätte ich nur auf ihn gehört! Mir wäre viel erspart geblieben. Am 29. Juni wurden 7.000 ungarische Deutsche in Marsch Richtung Stockerau gesetzt, doch dort war kein Platz.

Am nächsten Tag ging es weiter Richtung Preßburg. Als wir durch Wien marschierten, kamen wir an einer Hochzeitsgesellschaft vorbei. Der Bräutigam und der jüngere Trauzeuge wurden gepackt und zu uns gestoßen. Sie mussten nun mit und waren auch Kriegsgefangene der Russen so wie wir. Sie waren brutal, die Braut bekam einen Tritt in den Hintern, wonach sie davonlief. Wir waren sehr misstrauisch, konnten aber nicht weg.

Vor Rasdorf kam uns eine Autokolonne mit russischen Soldaten auf Lastwägen entgegen. Die Soldaten hatten Äste in den Händen, von denen sie Kirschen aßen. Plötzlich sprang einer auf und schoss auf uns.

Wir waren mehrere hundert Männer und es gab Tote und Verwundete. Das Auto, von dem die Schüsse abgefeuert wurden, stoppte, ein Offizier sprang aus dem Führerhaus und schrie: „Wer war das?“ Da stand einer auf und schrie: „Ich“, und schlug sich voll Stolz seine Maschinenpistole an die Brust. Der Offizier zog seine Pistole und schoss ihm in den Kopf. Als der Täter vom Auto fiel, schrie der Offizier noch etwas für uns Unverständliches, worauf drei Russen vom Wagen sprangen und den Toten auf das Auto warfen. Anschließend fuhren sie weg.

Als wir in Rasdorf ankamen, wollten mein Schulfreund Nitschinger Geza und ich flüchten. Wir schafften es in das Haus eines Wagenmeisters zu kommen, doch der jagte uns gleich hinaus. Seine Frau rief noch: „Lass doch die Kinder!“, und gab uns noch schnell ein Stück Brot, bevor wir wieder marschieren mussten. Die Russen hatten uns versprochen, dass wir in Preßburg die Entlassungspapiere bekommen würden. Vor der Marchbrücke übernachteten wir, und am nächsten Tag ging es weiter nach Preßburg. Dort angekommen, wurden wir von den einheimischen Leuten mit Ziegelsteinen beworfen. Da haben uns die Russen beschützt. Als wir am Bahnhof ankamen, mussten wir uns nackt ausziehen und wir wurden untersucht. Die Gesunden wurden in Viehwaggons verladen. Nun begann die große Reise, über Rumänien in den Kaukasus.

In Fokschani wurden wir auf „Breitspur“ umgeladen, vierzig Mann in einem Viehwaggon.

Teil 1: Meine Schicksalsjahre 1944-1953

Teil 2: Transport ins Gefangenenlager

Teil 3: Die Fluchtversuche

Teil 4: Not macht erfinderisch

Teil 5: Arbeit im Kohlebergwerk

Teil 6: Neuerlicher Fluchtversuch

Teil 7: Transport in Richtung Heimat

Teil 8: Der 4. Oktober 1953 - Es geht endlich nach Hause

Quelle: Matthias Schmitzhofer